Jerusalem

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Mittwoch, 2. März 2016

Was man sagen darf

Ein auf seiner konkreten Bedeutungsebene kaum zu ertragender Kommentar des Hauptangeklagten im Prozess vor dem Landgericht Hannover über den Brandanschlag auf ein von Asylbewerbern bewohntes Haus in Salzhemmendorf, den der Beschuldigte Zeugen zufolge noch in der Tatnacht des 28. August letzten Jahres in stark alkoholisiertem Zustand abgegeben haben soll, sagt sehr viel über sein gestörtes Verhältnis zur Realität aus: "Wenn der Neger brennt, feiere ich richtig." Es ist eine Art von Aussage, die man allenfalls einem in seiner geistigen und emotionalen Entwicklung stark zurückgebliebenen, vermutlich minderjährigen gewohnheitsmäßigen Konsumenten von Horrorvideos und gewalttätigen Computerspielen zutraut, der noch nicht gelernt hat, dass man sich an einer heißen Herdplatte tatsächlich die Finger verbrennen kann und „Game Over“ im wahren Leben bedeutet, dass man zumindest im materialistischen Sinne in Zukunft kein höheres Level mehr erreichen wird. Es ist die rohe Weltsicht eines sozial und moralisch isolierten, vermutlich ungeliebten Menschen, der nicht weiß, dass konkrete Worte wie die von ihm gewählten auch eine konkrete Bedeutung  besitzen, für die er jenseits seiner eigenen beschränkten Vorstellungswelt weder Toleranz noch Verständnis erwarten darf. Da der Angeklagte seiner Ankündigung noch dazu unmittelbar eine Tat folgen ließ, die dem Wortsinn vollkommen entspricht – zum Glück ohne den gewünschten Effekt – wäre es fatal, seine Aussage allzu leicht zu nehmen.
 
Ausgebrannte Flüchtlingsunterkunft in Trassenheide 2015/Foto: Schneffe

Aus dem klassischen amerikanischen Cartoon der 1930er und 40er Jahre kennen wir zahlreiche haarsträubende Situationen, die extreme aufeinanderprallende Positionen durch das Mittel stetig gesteigerter Übertreibung höchst wirkungsvoll ad absurdum führen. Hier ist es durchaus an der Tagesordnung, dass der eindimensionale, meist Tieren nachempfundene Protagonist in einen Canyon fällt und nicht mehr als eine pochende Beule davonträgt oder von einer Dampfwalze überrollt wird und dennoch in der nächsten Szene wieder zu einer vollständigen Person aufklappt, die ihren sinnlos-cholerischen Kleinkrieg wider besseres Wissen mit unverminderter Härte fortsetzt. Das durch die gezielte Überzeichnung im Zuschauer ausgelöste ungläubige Lachen ist ein geeignetes Mittel, den unversöhnlichen Hass zwischen Tom und Jerry oder Kojote und Roadrunner zu vergegenwärtigen. Es scheint vollkommen verfehlt, hier von gewaltverherrlichenden Tendenzen zu sprechen. Kein Zuschauer würde ernsthaft auf die Idee kommen, selbst in den Canyon zu springen oder sich überrollen zu lassen – es gehört keine große Transferleistung dazu, zu wissen, dass jedes einzelne dieser Unternehmen für einen gewöhnlichen Menschen tödlich enden muss. Auch die kulturelle Leistung, Worte in Bilder und/oder konkrete Bedeutung zu übersetzen, scheint für einen einigermaßen vernunftbegabten und halbwegs empathischen Menschen durchaus umsetzbar. Um die Aussage des Angeklagten abzulehnen, muss man nicht selbst schon einmal angezündet worden sein, es genügt ein Mindestmaß an Verstand und Mitgefühl.

Dennoch scheint es uns möglicherweise gerade wegen unseres ausgeprägten kulturellen Abstraktionsvermögens derzeit so schwerzufallen, gewisse extreme Positionen, die in unserer Gesellschaft kursieren, im vollen Wortsinn ernst zu nehmen: die von ihnen ausgelöste Irritation widerspricht zu sehr unserem Realitätssinn und erinnert uns unterschwellig zu sehr an die absurden Manifestationen einer satirischen Weltsicht, wie wir sie aus künstlerischen Vergegenwärtigungen historischer Ereignisse in Literatur, Film und Theater kennen. Für einen aufgeklärten modernen Menschen scheint es nahezu unmöglich, eine Ansammlung von nationalchauvinistischen und reaktionären Ansichten, wie sie im offiziellen Parteiprogramm der AfD in vermeintlich realsatirischer Reinform zuhauf vorkommen, als Parteiprogramm ernst zu nehmen, aber genau das sollten wir tun, denn es ist das, was diese Karikatur einer modernen Partei in der Realität umsetzen möchte, sofern es ihr gelingen sollte, die politische Macht zu erringen. Manch unzufriedener arbeitsloser Wutbürger, der die AfD wählt, weil die „was gegen Flüchtlinge tut“, wird sich dann nämlich wundern, wenn er sich plötzlich dreißig Stunden in der Woche zur obligatorischen „Gemeinschaftsarbeit“ einfinden muss. Die vielbeschworene Worthülse „Man wird doch mal sagen dürfen“ dient meistens nur als Testballon, um die Reaktion seines jeweiligen Gegenübers auszuloten. Von diesem Punkt aus wird die Grenze des Zumutbaren dann kontinuierlich weiter ins Irrationale verschoben, bis es uns buchstäblich zu eng wird. Lachen als Abgrenzung ist hier der falsche Weg, stattdessen sollten wir hellhörig werden: Solche Leute meinen immer, was sie sagen – für Spontaneität fehlt ihnen die Leichtigkeit.


Brandanschlag Solingen 1993/Foto: Sir James

Aus allen öffentlich zugänglichen schriftlichen und mündlichen Äußerungen von AfD-Funktionären wird eines deutlich: Die AfD will sämtliche Uhren in unserer Gesellschaft zurückdrehen zu einer lang überwunden geglaubten Zeit, von der selbst diejenigen, die sie noch erlebt haben, nicht überzeugend behaupten können, dass sie besser gewesen sei als die heutige. Nebenbei bemerkt: natürlich gibt es Parteien am äußersten rechten Rand der Gesellschaft, die noch extremere Positionen vertreten als die AfD. Dafür genießen sie aber auch deutlich weniger Rückhalt in der Bevölkerung. Absurderweise schwebt ausgerechnet über der unwesentlich weniger militanten dieser beiden Parteien aktuell ein Verbotsverfahren, das zwar von vielen begrüßt wird, jedoch Experten zufolge mittelfristig mehr Schaden als Nutzen anrichten könnte, da eine noch stärkere Radikalisierung des betroffenen Personenkreises bis hin zu rechtsextremistischem Terror zu befürchten stehe. Das Mittel des Verbotes sollte in einer pluralistischen Gesellschaft ohnehin keinen Platz haben: Verbot ist immer das unzulängliche Mittel der Anhänger totalitaristischer Ideologien, mit dem sie ihren beschränkten Horizont zu schützen versuchen – wir sollten es nicht zu unserem machen. Es ist zwar legitim, von einer Gesellschaft zu träumen, in der nationalistisches und völkisches Gedankengut keinen Platz haben, doch realistisch ist dieser Traum nicht. Als vitale pluralistische Gesellschaft sollten wir dennoch darauf vertrauen, dass unsere dem Leben zugewandte Weltanschauung alle Widerstände aus sich selbst heraus zu überwinden vermag.

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