Jerusalem

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Samstag, 14. Juni 2014

Fünf Bücher, nicht nur für Fußballfans

Der professionelle Fußball ist schon sehr lange ein einträgliches Millionengeschäft – im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre ist diese Tatsache jedoch so offensichtlich geworden, dass nicht wenigen langjährigen Fans zumindest zwischenzeitlich die ganz große Begeisterung verloren zu gehen droht, weil sie nicht zu Unrecht argwöhnen, dass vielen einflussreichen Funktionären mittlerweile das kalkulierte Geschäft wichtiger ist als die Schönheit und Unberechenbarkeit des Spiels. Der Markt ist so unüberschaubar und die Grenzen zu anderen Wirtschaftszweigen so unscharf geworden, dass populäre Fußballer heute nicht mehr nur für Rasierapparate und Rasenmäher werben, sondern auch für die unterschiedlichsten Arten von Kosmetikprodukten. Fußball ist so sehr in den Blickpunkt einer breiten, nach wertlosem inhaltsleeren Konsens strebenden Öffentlichkeit gerückt, dass plötzlich selbst der Frage nach der sexuellen Orientierung von Profifußballern größte gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen wird, während die private Rückzugsmöglichkeit des einzelnen Fans in die konzentrierte Betrachtung des Spiels nahezu unmöglich geworden ist.


Football - The Beautiful Game


Hinter all diesen im Grunde abseitigen Problemstellungen drohen wir leider allzu leicht zu vergessen, dass Fußball uns vor allem höchst wirksam dazu einlädt, auf konzentrierteste Art und Weise Anteil an der Gegenwart des Spiels zu nehmen, unmittelbar gleichzeitig zu sein mit dem Geschehen und damit ganz bei uns und unserem eigenen Erleben – eine geradezu ganzheitliche Erfahrung, die wir in unserem täglichen Leben jenseits von esoterischen Zirkeln und spirituellen Wochenendseminaren kaum noch selbst machen dürfen. In diesem wunderbaren Phänomen liegt schließlich die unverwüstliche Faszination des Fußballs begründet: sobald das Spiel beginnt, dürfen wir ihm unsere ganze Aufmerksamkeit widmen und buchstäblich alles andere vergessen – das reale Geschehen auf dem Platz hat am Ende immer wieder die Kraft die beschriebenen Ärgernisse und beklagenswerten Nebenschauplätze zu überwinden und uns ausschließlich für das Spiel zu begeistern. In dieser Hinsicht kann Fußball sogar eine wirksamere und universellere Schule des menschlichen Erlebens mit allen Sinnen sein als das Lesen guter und wesentlicher Literatur, denn ein fesselndes Buch simuliert lediglich die ungeteilte Aufmerksamkeit, die wir unserem eigenen Leben widmen könnten.



Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.“ von Werner Skrentny


Nur die wenigsten Fans der deutschen Fußballnationalmannschaft dürften sich der Tatsache bewusst sein, dass in der eindrucksvollen Geschichte ihres Teams nicht etwa Gerd Müller oder Miroslav Klose als Spieler mit der höchsten durchschnittlichen Trefferquote gelten darf, sondern – mit 2,17 Toren pro Spiel – der von den Nationalsozialisten aus seiner badischen Heimat ins amerikanische Exil vertriebene jüdische Mittelstürmer Gottfried Fuchs (1889-1972). Sein langjähriger Sturmpartner im Nationalteam wie im Heimatverein, Julius Hirsch (1892-1943), zweimaliger deutscher Meister und siebenmaliger Nationalspieler, wurde dagegen brutal im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.



Der deutsche Weltmeistertrainer von 1954, Sepp Herberger, der Hirsch und Fuchs in seiner Jugend noch als umjubelte Spieler des Karlsruher FV gesehen hatte, schwärmte noch am Ende seines Lebens von den beiden jüdischen Offensivspielern:

Vor allem der Karlsruher Innensturm mit Förderer, Fuchs, Hirsch, dem damals ein sagenhafter Ruf vorausging, imponierte mir mit seinen technischen Kunststückchen und bestechenden Kombinationszügen so sehr, dass ich sie heute noch in der Erinnerung nachziehen könnte.

Der renommierte Sportjournalist Werner Skrentny, Autor zahlreicher Bücher und Artikel zur deutschen Fußballgeschichte, hat als Ergebnis jahrzehntelanger privater Recherchen und gefördert von der Kulturstiftung des DFB einen beeindruckenden, 352 Seiten starken Band vorgelegt, der ganz dem Andenken des Fußballers und Menschen Julius Hirsch gewidmet ist, dessen Leben sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten radikal änderte: Anfang 1933 musste die von seinem Bruder in finanzielle Schwierigkeiten gebrachte elterliche Firma „Deutsche Signalflaggenfabrik“, ein international führender Hersteller unter anderem von Lederfußbällen, Konkurs anmelden.

Julius Hirsch (re.), Gottfried Fuchs (Mi.) im Dress des KFV


Neben seiner Tätigkeit als Trainer verschiedener Vereine gelang es Hirsch in der Folge nie wieder, langfristig in einem bestimmten Beruf Fuß zu fassen, so dass er bei seiner Deportation am 1. März 1943 im nationalsozialistischen Amtsjargon lediglich als „Hilfsarbeiter“ geführt wurde, was in letzter Konsequenz bewirkte, dass der bekennende Deutschnationale bei der Selektion in Auschwitz weder als Fußballidol noch als ehemaliger Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs und Träger des Eisernen Kreuzes II. Klasse erkannt wurde, sondern als einer unter vielen unverzüglich ins Gas geschickt wurde.

Diese menschenverachtende, zynisch-rohe Brutalität, die nichts und niemanden achtet als die eigene verquere lebensfeindliche Ideologie, verstört auch aus zeitlicher Distanz immer wieder aufs Neue: sie muss in der Tat als absoluter Tiefpunkt der modernen europäischen Geschichte gelten. So darf man es als schöne, symbolträchtige Geste werten, dass der DFB im Jahr 2005 den jährlich zu vergebenden Julius-Hirsch-Preis für Toleranz und Menschenwürde ins Leben gerufen hat. Die Leistung von Werner Skretny, der für sein wunderbares Buch sogar als Erneuerer der Freundschaft zwischen den Familien von Julius Hirsch und Gottfried Fuchs fungieren durfte, kann man kaum hoch genug bewerten.






Wir haben noch das ganze Leben“ von Eshkol Nevo


Zum Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich zwischen dem Gastgeber und Brasilien haben sich vor dem häuslichen Fernseher in Tel-Aviv vier Freunde um die dreißig versammelt, die sich bereits seit Jugendtagen kennen und die bereits seit 1986 jedes Finale gemeinsam anschauen. Dabei wird gefachsimpelt, getrunken, gescherzt und gelacht, und aus einer spontanen Laune heraus entsteht die Idee, jeder der vier solle seine drei wesentlichen Lebensträume auf einen Zettel schreiben und in einem Umschlag verschließen – beim nächsten Endspiel vier Jahre später wolle man dann sehen, was von diesen Wünschen sich bis dahin tatsächlich verwirklicht habe.




Für den introvertierten Erzähler Juval hängen alle drei Wünsche mit seiner anmutigen Lebensgefährtin Ja’ara zusammen; der kauzige Amichai möchte eine Naturheilpraxis eröffnen, und der nach Höherem strebende Ofir endlich seinem verhassten Brotjob in der Werbeindustrie entsagen, um einen Band mit Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Der ebenso ehrgeizige wie zielstrebige Joav schließlich, genannt „Churchill“, möchte eine glanzvolle Karriere in der Staatsanwaltschaft in Angriff nehmen.

Was wie ein belanglos-unterhaltender „Frauenroman für Männer“ in einem leichten Plauderton beginnt, entfaltet sich schon bald auf mitreißende Art und Weise zu einem sehr ambitionierten, im Erzählton hoch authentischen literarischen Panorama der israelischen Gesellschaft und ihrer wesentlichen Fragen, in dem der 1971 in Jerusalem geborene Eshkol Nevo sich nicht nur als einer der stilistisch-vielseitigsten und talentiertesten israelische Schriftsteller der jüngsten Generation erweist, sondern auch den hohen Erwartungen nach seinem selbst in Frankreich und Großbritannien mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichneten Debüt „Vier Häuser und eine Sehnsucht“ (2005) gerecht wird.

Ich dachte an Juvals großes Verlangen, die „bahaiische Symmetrie“ herzustellen, und daran, dass letzten Endes durchaus etwas dran sein konnte an den Worten seines Workshopleiters, der Wunsch hier, an diesem Ort nach der Harmonie eines Bahaiigartens zu streben, ähnele ein bisschen dem Wunsch der israelischen Nationalmannschaft, sich für eine Weltmeisterschaft zu qualifizieren: ein Bestreben das leider, leider immer im Bereich des Wunsches bleiben wird.

Zwar ist sein von Markus Lemke übersetzter zweiter Roman formal weit weniger experimentierfreudig ausgefallen als sein vielstimmiger erster über eine Haugemeinschaft in  Jerusalem, der in seiner stilistischen Variabilität an den frühen Abraham B. Jehoschua erinnerte, wenn auch um ein vielfaches lyrischer im Ton, dennoch gelingt es dem Enkel des ehemaligen israelischen Premierministers Levi Eshkol auch hier, präzise, gut-beobachtete Alltagsbetrachtungen zu anspruchsvoller und zugleich unterhaltsamer Literatur zu sublimieren und das vordergründig banale Thema der Männerfreundschaft so sorgfältig, einfühlsam und humorvoll auszuarbeiten, dass sie am Ende als einziger gangbarer Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit gesellschaftlicher Resignation erscheint.


Eshkol Nevo

Denn am Vorabend der Weltmeisterschaft 2002 ist plötzlich nichts mehr, wie es war: Ja’ara hat eine die Freundschaft sprengende Affäre mit Churchill begonnen, alle Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden mit den Palästinensern sind zunichte, und Juval liegt nach einem gewalttätigen Zwischenfall mit einem an einer posttraumatischen Störung leidenden ehemaligen Angehörigen der israelischen Streitkräfte mit schweren Gehirnverletzungen im Koma. Eshkol Nevos große Kunst ist es, keinen der großen Konflikte der israelischen Gesellschaft auszusparen und dennoch nicht in bittere Hoffnungslosigkeit zu verfallen:



„Wir haben noch das ganze Leben“, aus dem Hebräischen von Markus Lemke, erschienen bei dtv, 436 Seiten, € 9,90




Unten sind ein paar Typen“ von Antonio Dal Masetto


Die Grenzen zwischen realer Bespitzelung und Paranoia sind fließend in einem Überwachungsstaat, und das Opfer staatlicher Willkür läuft Gefahr, sich in einer lähmenden Atmosphäre ständigen Selbstzweifels zu verlieren und letztlich an seinem so erzeugten permanenten seelischen Ausnahmezustand zu zerbrechen. Diese erniedrigende Erfahrung ist allen Verfolgten totalitärer Regime gemein, ob sie es mit der Gestapo zu tun haben oder mit der Stasi, mit dem KGB oder dem argentinischen Geheimdienst.

Aber kaum ein Schriftsteller hat dieser Atmosphäre allgegenwärtiger Bedrohung jemals auf so elegante, spannende und treffende Weise literarische Form verliehen wie der argentinische Schriftsteller Antonio Dal Masetto, geboren 1938 am Lago Maggiore, in seinem meisterhaften Kurzoman „Unten sind ein paar Typen“. Schon der klug gewählte Titel des Buches führt uns mitten hinein in den stetig zunehmenden Zweifel des Protagonisten: Pablos Freundin hat vor dessen Haus zwei Männer in einem Auto entdeckt, die dort offensichtlich Stellung bezogen haben, um das Gebäude zu observieren.



Es ist der Vorabend des Fußballweltmeisterschaftsendspiels 1978, Argentinien gegen Holland, Stromausfälle und Störungen des Telefonnetzes sind an der Tagesordnung, eine unbestimmte, noch richtungslose Unruhe hat das Land ergriffen. Man hört zuweilen, dass Nachbarn spurlos verschwinden oder dass Leichen an der Küste an Land gespült werden. Die Militärjunta erwartet von allen Staatsbürgern eine bedingungslose Unterstützung des argentinischen Teams, man will die sportliche Großveranstaltung nutzen, um Imagewerbung für das Land zu betreiben.

Zunächst kann sich Pablo nicht vorstellen, dass die Unbekannten möglicherweise hinter ihm her sind, aber als er beschließt, sie unauffällig auf die Probe zu stellen, muss er erleben, wie sich langjährige Freunde von ihm abwenden und auch seine noch junge Liebesbeziehung plötzlich radikal auf der Kippe steht. „Unten sind ein paar Typen“ ist die konzentrierteste, hellsichtigste und gescheiteste literarische Abhandlung über die Funktionsweise des Terrors, die man seit langem lesen konnte.


„Unten sind ein paar Typen“, aus dem Spanischen von Susanna Mende, erschienen im Rotpunktverlag, 146 Seiten, € 16,-




Titelkampf“ – Fußballgeschichten der deutschen Autorennationalmannschaft



Am 6. Mai 2008 fand auf einem Nebenplatz des Berliner Olympiastadions unter der Schirmherrschaft des damaligen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier und DFB-Präsident Theo Zwanziger ein denkwürdiges Fußballspiel statt: die deutsche Autorennationalmannschaft, Vizeweltmeister 2005 und Dritter von 2007, spielte zum ersten Mal gegen das für diese Gelegenheit eigens und erstmals formierte Team Israels. Zwar ging der Sieg mit 4:2 an das eingespieltere Team, doch waren es für alle Beteiligten ohnehin am allerwenigsten sportliche Belange, die sie zu diesem interessanten Projekt bewogen hatten.

Die herzliche Atmosphäre während und nach dem Spiel sowie die am Abend danach stattfindende gemeinsame Lesung der beiden Teams in den Kammerspielen des Deutschen Theaters waren das beste Beispiel für die völkerverbindenden Aspekte von Sport und Literatur. Es wäre schön gewesen, wenn aus dieser beide Seiten so offensichtlich bereichernden Begegnung ein Buchprojekt hätte entstehen können, da viele der teilnehmenden israelischen Autoren bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden sind.




Stattdessen wird sich der Leser mit der ausgesprochen unterhaltsam zu lesenden Anthologie der deutschen Autorennationalmannschaft begnügen müssen, deren Thema allein das Spiel ums runde Leder ist. „Titelkampf“ ist die ideale Lektüre für jeden Fußballfan, dem die O-Töne von Profifußballern, Beiträge im TV und in Sportzeitschriften oder die Einschätzungen anderer Gleichgesinnter in den Sportsbars zu banal sind. Erstaunlich vielfältig sind die Texte von so unterschiedlichen Schriftstellern wie Theaterautor Moritz Rinke, Stammtorwart Albert Ostermaier, Regisseur Sönke Wortmann oder Stars der Berliner Lesebühnen wie Jochen Schmidt oder Uli Hannemann: Satire, Reportage, ambitionierte Kurzgeschichte oder Lyrik – es ist eine wahre Freude für den anspruchsvolleren Fußballfan, sich auf so geistreiche und unterhaltsame Art mit seinem Lieblingssport beschäftigen zu können. Zwar hat sich der Fußball in den letzten Jahren auch in den Feuilletons der großen überregionalen Zeitungen etabliert, aber für wie viele spannende, bewegende und lustige Geschichten er wirklich gut ist, sofern talentierte Schriftsteller davon erzählen, beweist erst diese liebevoll zusammengestellte Anthologie.


„Titelkampf“, erschienen bei Suhrkamp, 284 Seiten, € 8,90




Doppelpass“ von Charles Lewinsky



Charles Lewinsky ist ein literarisches Genie! Seit der für ihn im Alter von immerhin sechzig Jahren erst relativ spät eingetretenen, gleichwohl hoch verdienten internationalen Anerkennung infolge des Erscheinens seiner bisher in zehn Sprachen übersetzten grandiosen deutsch-jüdischen Familienchronik „Melnitz“ (2006) hat der langjährige erfahrene Fernseh- und Theaterautor, Texter von Couplets und Ghostwriter aus Zürich mit jedem seiner weiteren Werke nicht nur eine fabelhaft umtriebige schöpferische Fantasie an den Tag gelegt, sondern immer wieder auch eindringlich bewiesen, dass er sich auf geradezu virtuose Art und Weise in nahezu jede literarische Gattung einzufühlen vermag, um jeweils höchst überzeugende „wahre“ literarische Abbilder der unterschiedlichsten Lebensrealitäten zu schaffen.

Wer kann schon von sich behaupten, in China mit dem kurioserweise alljährlich vergebenen Preis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres ausgezeichnet worden zu sein? Charles Lewinsky ist sicherlich kein bescheidener Autor, aber er hat auch absolut keinen Grund dazu: er weiß genau, was er kann, und sein schriftstellerisches Talent ist so offensichtlich, dass er getrost über seine hohen Ambitionen sprechen darf, ohne als Aufschneider gelten zu müssen, etwa wenn er in der kurzen Vorrede zu seinem Roman „Doppelpass“ bemerkt, die Form des Fortsetzungsromans habe ihn „gereizt, weil sie schön schwierig war. [...] Und weil sich eine ganze Menge großer Vorgänger auch schon mit dem gleichen Problem herumgeschlagen haben: Charles Dickens, Alexandre Dumas oder Arthur Conan Doyle – das ist doch eine ehrenwerte Ahnenreihe.“



Das anachronistisch wirkende Angebot, einen Fortsetzungsroman klassischen Zuschnitts zu schreiben, kam von der renommiertesten Schweizer Wochenzeitschrift Die Weltwoche; dort erschien der in der Buchausgabe 320 Seiten umfassende Roman „Doppelpass“ im Verlaufe des letzten Jahres in insgesamt fünfzig Folgen. Wenn Zeitungen – was auch heute noch durchaus üblich ist – ihren Lesern Fortsetzungsromane anbieten, sind das in aller Regel konventionelle, bereits vollständig und gedruckt vorliegende Romane, die von der jeweiligen Redaktion um der Fortsetzungsform willen nachträglich in homogene Teile zerlegt werden. Der ebenso ehrgeizige wie experimentierfreudige Charles Lewinsky hingegen hat vollkommen nach klassischem Vorbild gearbeitet und jede einzelne Woche des Jahres ein vollständiges Kapitel von 10.000 Zeichen abgeliefert, wobei er sich zu Beginn seines Textes über wenig mehr als das ungefähre Gerüst der Handlung im Klaren war.

Die Lektüre von „Doppelpass“ ist ein überaus humorvolles, geistreiches und kurzweiliges – ja absolutes Lesevergnügen, was ohne Frage nicht zuletzt der besonderen literarischen Form geschuldet ist, die ähnlich wie amerikanische Fernsehserien einen Cliffhanger am Ende jedes Kapitels sowie eine überraschende Auflösung am Beginn des folgenden Abschnitts bedingt. Doch auch in sich sind die einzelnen Kapitel kleine scharfsinnige Meisterwerke der satirisch-philosophischen Alltagsbetrachtung. „Doppelpass“ ist die Geschichte des gefeierten schwarzafrikanischen Fußballstars Tom Keita und seiner ehrgeizigen, publicitysüchtigen Model-Verlobten Ilona, seines Cousins Mike, der eines Tages als illegaler Einwanderer vor seiner Tür steht, sowie die Geschichte des populistischen Politikers Eidenbenz, Präsident von Keitas Fußballklub – ein absurder Jahrmarkt der Eitelkeiten, der die Mechanismen von Politik und geschäftsmäßigem Profisport gekonnt entlarvt und auf die Spitze treibt.


„Doppelpass“, erschienen bei dtv, 320 Seiten, € 9,90


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