In
seinem erstmals im Jahr 1987 veröffentlichten Buch „Märchen aus Malula“ schildert der in nahezu allen Altersgruppen gleichermaßen
beliebte syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami eine fiktive
Belagerungssituation aus der wehrhaften zweitausendjährigen
Geschichte seines überwiegend von Christen bewohnten Heimatdorfes,
das in einem schroffen abgelegenen Bergtal nordöstlich von Damaskus
auf 1500 m Höhe liegt und eine der letzten verbliebenen Sprachinseln
des biblischen Aramäisch darstellt:
Über
achthundert Männer zogen einen festen Ring um das Dorf. Sie konnten
von Norden anrücken und die Felsen besetzen, doch die Malulianer
kämpften mutig. Mehrere [Angreifer] fielen gleich am ersten Tag. Die
Botschaft des Anführers verwirrte das Dorf: „Wir wollen euch nur
befreien, doch wenn ihr nicht wollt, so müssen wir euch umbringen.“
Einige wollten aufgeben, doch ein junger Mann rief: „Eine Befreiung
kommt nie von außen!“
Diese
auf den ersten Blick eher satirisch anmutende Anekdote besitzt in
ihrer reinen philosophischen Essenz ohne Zweifel geradezu talmudische
Dimensionen; gleichzeitig drückt sie auf höchst scharfsinnige Art
und Weise auch genau jene zahlreichen Widersprüche aus, die den
unbefangenen Beobachter angesichts des seit mittlerweile zwei Jahren
von allen Parteien gleichermaßen unbarmherzig geführten syrischen
Bürgerkriegs und besonders vor dem nun offenbar kurz bevorstehenden
„zeitlich begrenzten Militärschlag“ der USA am meisten bewegen.
Rafik
Schami hat es mit seinen zahlreichen Büchern geschafft, dem Leser
eine Art „ideales Damaskus“ in die Herzen einzupflanzen, indem er
das Syrien seiner Kinder- und Jugendzeit zum literarischen Schauplatz
unvergänglicher Werte des Humanismus macht. Unwillkürlich kommen
einem die unvergesslichen Helden seiner Bücher in den Sinn, der
begnadete Märchenerzähler Salim etwa oder der Überlebenskünstler
Milad, und man fragt sich, wie sie – denen man es am meisten
zutraut – wohl die Herausforderungen eines Lebens unter den
Unwägbarkeiten eines brutalen Bürgerkriegs bestehen würden?
In
Syrien sind derzeit über vier Millionen Menschen auf der Flucht, die
Anzahl der bisherigen Todesopfer beträgt nach UN-Angaben mindestens
100.000, und mehr als zwei Millionen syrische Flüchtlinge stellen
die unmittelbaren Nachbarländer vor kaum zu bewältigende
Herausforderungen. Hat der Einzelne in diesem Konflikt überhaupt
noch die Möglichkeit, individuelle eigenständige Entscheidungen zu
treffen? Darf dieser blutige Bürgerkrieg überhaupt ohne Abstriche
als Freiheitskampf einer unterdrückten Bevölkerungsmehrheit
verstanden werden?
In
Interviews bezieht Rafik Schami ungewohnt scharf Stellung gegenüber
der Indifferenz des Westens, scheinheiligen „Prominenz-Journalisten“
wie Jürgen Todenhöfer oder Peter Scholl-Latour und der
Machtlosigkeit der arabischen Welt. Seine konkreten politischen
Hoffnungen bleiben dabei auf eher bescheidene, realistischerweise zu
erreichende Ziele wie Linderung der Not der Flüchtlinge sowie eine
nachhaltige Befriedung und allmähliche Demokratisierung des Landes
beschränkt. Damit ist er ganz nahe bei seinen Protagonisten – auch
den zukünftigen: „Eine Befreiung kommt nie von außen!“
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