Nicht gänzlich unerwartet wurde die 1972 geborene amerikanische
Lyrikerin Tracy K. Smith im vergangenen Jahr nach der an sich schon
ehrenvoll-prestigeträchtigen Aufnahme in das Jahrbuch Best American
Poetry 2012 für ihren von Publikum und Literaturkritik gleichermaßen
gefeierten dritten Gedichtband “Leben auf dem Mars” anschließend
verdientermaßen sogar mit dem renommierten Pulitzer Preis für Lyrik
desselben Jahres ausgezeichnet.
Da die in New York lebende Dozentin für kreatives Schreiben an der
Princeton University hierzulande bis zu diesem Zeitpunkt lediglich
einem gut informierten Fachpublikum bekannt war, darf es als
ausgesprochen großer, geradezu prophetischer Wurf gelten, dass sich
der kleine unabhängige Heidelberger Verlag Das Wunderhorn,
ausgezeichnet mit dem Kurt-Wolff-Preis 2012, schon
frühzeitig die Übersetzungsrechte für diesen großartigen,
anspielungsreichen Band gesichert hatte, der auf geradezu
alchemistische, aber stets spielerisch-leichte und ironische Art und
Weise so unterschiedliche Disziplinen wie die Naturwissenschaften,
Technik und die literarische und kinematografische sowie
philosophische Science Fiction miteinander zu versöhnen scheint.
“Leben auf dem Mars” ist – ungewöhnlich für ein Werk der
modernen Poesie – noch im selben Jahr in deutscher Übersetzung
erschienen.
Die in Kalifornien aufgewachsene Dichterin mit – laut Selbstporträt
– “tiefen Wurzeln in Alabama” schafft es darin mit ihrer ebenso
einfachen wie klaren, aber gleichzeitig ungeheuer assoziationsreichen
Alltagsprache scheinbar mühelos, komplizierte Sachverhalte zugleich
in mehreren parallel ablaufenden gedanklichen und lyrischen
Dimensionen auszuloten und dabei trotzdem auch für den gewöhnlichen
Leser immer ausgesprochen zugänglich zu bleiben.
Das poetisch imaginierte zukünftige “Leben auf dem Mars” ist
dabei in der besten Tradition der literarischen Science Fiction
natürlich lediglich ein philosophisches Vehikel zur Erkundung der
menschlichen Lebensbedingungen im Allgemeinen sowie natürlich auch
der besonderen Lebensbedingungen im Amerika der unmittelbaren
Gegenwart. Dabei gelingt es Tracy K. Smith auf geradezu vorbildliche
Art und Weise, selbst hoch persönliche Themen wie Liebe und Sex mit
einer deutlich erkennbaren politischen Grundhaltung zu vereinen, ohne
den Leser damit überwältigen zu wollen.
Leider gelingt es der Übersetzerin Astrid Kaminski nicht immer, der
Autorin in allen für ihre Poesie charakteristischen Nuancen zu
folgen. Ihre Nachdichtung bedient sich oft einer unangemessen
künstlichen Sprache, die eine schmerzhafte Diskrepanz zur
vielschichtigen, anspielungsreichen und doch im besten Sinne simplen
Poesie der Dichterin aufscheinen lässt, die den Leser immer wieder
unwillkürlich auf die ebenfalls in der deutschen Ausgabe enthaltenen
Originaltexte zurückwirft.
Während die Übersetzerin in ihren nützlichen Anmerkungen
zahlreiche tatsächliche oder auch vermeintliche Anspielungen aus der
Popmusik auflistet, ersetzt sie in der deutschen Fassung eines der
wichtigsten Texte des Bandes, im Gedicht “My God, It's Full Of
Stars”, den Vornamen des dort genannten Schauspielers Charlton
Heston durch “Charles” und lässt darüber hinaus alle von der
Poetin beabsichtigten oder zufällig sich ergebenden Assoziationen zu
Filmen wie “Die zehn Gebote” oder “Planet der Affen” einfach
auf der Strecke.
Am besten funktioniert Astrid Kaminskis Übersetzung bei einem
politischen Text wie dem sich auf die Rollen von Qumran beziehenden
“They May Love All That He Has Chosen And Hate All That He Has
Rejected”, dessen Grundton sich auch im Original eher
distanziert-rational ausnimmt. Darin skizziert Tracy K. Smith sehr
genau die sich gegenseitig überlagernden Mechanismen von
negativistischem Fatalismus, politischem Chauvinismus und
rassistischen Positionen im Amerika der Gegenwart:
Ich will ihre Stimmen nicht hören.
Will nicht hier stehen und Däumchen drehen, während sie
Herumzetern. Möchte einmal nicht wissen, was sie
Unter Wahrheit verstehen, oder welche Flaggen
An den Masten flattern, die sie auf ihre Dächer gepfropft haben.
Lass sie warten. Führ sie zur hinteren Veranda,
Wo sie sich anlehnen können, während die anderen essen.
Wenn sie Durst haben, gib ihnen einen Eimer und einen Zinnbecher.
Wenn sie krank werden, sag ihnen, dass kein Doktor vor Ort sei,
Und dass er Leute wie sie ohnehin nicht behandelte. Warn sie vor
Der Sorte Schwierigkeiten, in die man hier nach Einbruch
Der Dunkelheit geraten kann.
Und während sie im dritten Teil des Poems die Namen von Mördern und
Amokläufern und deren unglücklichen, zum Teil willkürlich
ausgewählten Opfern nennt, gibt sie im vierten Teil eben diesen
Opfern auf ausgesprochen berührende und besonders wahrhaftige und
lebenserhellende Art und Weise ganz unverkennbare eigene Stimmen,
indem sie sie sehr persönliche Postkarten an ihre Mörder schreiben
lässt, wie etwa diese der neunjährigen Brisenia Gonzalez, die im
Jahr 2009 von Mitgliedern einer rassistischen Untergrundorganisation
zusammen mit ihrem Vater erschossen wurde:
Liebe Shawna,
Alles okay bei Dir? Heute sind wir mit einem Boot zu einer Insel
hinausgefahren. Es war kalt, obwohl die Sonne auf meinem Gesicht heiß
war. Als wir aus dem Boot ausstiegen, gab es da eine Statue von einer
heftig großen Dame. Mein Papa und ich fuhren den ganzen Weg rauf bis
zu ihrem Kopf. Mein Papa sagt, wir wären nun frei und könnten alles
machen, was wir wollen. Ich sagte ihm, dass ich gerne durch das
Fenster springen und zurück nach Arizona fliegen würde. Ich hoffe,
dass ich mal Tänzerin oder Tierärztin werde.
Alles Liebe,
Brisenia
Dieses Gedicht ist vielleicht sogar eines der besten, gelungensten
und kunstvollsten Beispiele für die unendlichen Möglichkeiten
moderner Lyrik, gerade auch wenn sie gleichzeitig politisch und
unmittelbar zugänglich und persönlich sein will. Tracy K. Smith
gehört spätestens mit diesem Band ohne jeden Zweifel zu den
wichtigsten neuen Stimmen der zeitgenössischen Lyrik weltweit.
Insofern ist es nur konsequent, wenn einen selbst die in jeder
Hinsicht verdienstvolle Übersetzung letztlich wieder auf den
großartigen Originaltext zurückwirft.
“Leben auf dem Mars”, aus dem Amerikanischen von Astrid Kaminski,
erschienen bei Das Wunderhorn, 128 Seiten, € 17,90
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