Andrea Camilleris federleicht-unterhaltsame Sizilien-Krimis, die sich
nach nunmehr zwanzig Jahren und ebenso vielen Einzelbänden auch
international noch immer einer ungebrochen großen Beliebtheit
erfreuen, sind in vielerlei Hinsicht Bücher der ausgelebten
Kontraste: sowohl das literarische Konzept des Autors als auch die
einzelnen virtuos durchkomponierten Handlungsmomente sowie sein
Wissen um die Motive und Wünsche seines Lesepublikums basieren auf
dem Versuch, die zahlreichen Widersprüche und Konflikte des
menschlichen Lebens entweder zu bewältigen oder auszuhalten.
Sein erzsympathischer Ermittler, Commissario Salvo Montalbano, eine
schwelgerisch-lebenslustige Identifikationsfigur par exellence, hat
sich im bürokratischen und korrupten Polizeiapparat seinen
urtümlich-bodenständigen Sinn für Gerechtigkeit, selbstständiges
Denken und unkonventionelles, eigenverantwortliches Handeln in einer
Art und Weise bewahrt, die ihn nicht selten in Konflikt mit dem
geschriebenen Gesetz und noch weniger selten mit seinen direkten
Vorgesetzten geraten lassen.
Es gibt wohl kaum einen anderen bedeutenden Kriminalschriftsteller,
der so radikal wie Camilleri die allgemein anerkannt-unvergänglichen
sogenannten “guten Dinge des Lebens” in positiven Kontrast zu den
von ihm in seinen Büchern beschriebenen Verbrechen setzt, deren
Grausamkeit für den Leser oft ausgesprochen schwer auszuhalten ist.
Die üppige Landschaft Siziliens jedoch, die kulinarischen Genüsse,
die ihre berühmte rustikal-raffinierte Küche mit ihren zahlreichen
außereuropäischen Einflüssen bereithält sowie die gegenseitige
erotische Anziehung der beiden Geschlechter bewirken ein ums andere
Mal, dass man sich von den bitteren Widersprüchlichkeiten des Lebens
plötzlich zumindest für die Dauer der Lektüre wundersam geheilt
fühlen darf.
Die nachhaltige Faszination der von Camilleri in seinen Romanen so
nuanciert und plastisch beschriebenen sizilianischen Küche bewog
seinen Verlag vor einigen Jahren sogar zur Veröffentlichung eines
von den beliebten Fernsehköchen Martina Meuth und Bernd
Neuner-Duttenhofer liebevoll erarbeiteten Montalbano-Kochbuchs, das
von der Gastronomischen Akademie Deutschlands seinerzeit mit einer
Silbermedaille für außergewöhnliche kulinarische
Buchveröffentlichungen ausgezeichnet wurde.
In seinem neuesten, auf gewohnt hohem Niveau verhandelten Fall “Die
Tage des Zweifels” bekommt es der seit Jahren eine
schmerzensreich-beglückende Fernbeziehung mit der in Genua lebenden
streitlustigen Livia führende Commissario zum wiederholten Mal mit
einer unerhofft-intensiven amourösen Versuchung in Form der
jüngeren, in höchstem Maße anziehenden Laura, einer Offizierin der
Hafenpolizei, zu tun, die ebenfalls verlobt ist und sich mit aller
Macht gegen die auch ihrerseits unbeabsichtigten romantischen Gefühle
für Salvo wehrt.
Der Konstellation einer jungen Frau und eines altenden Mannes, die
beide gleichermaßen an der Wahrhaftigkeit ihrer Gefühle sowie an
ihrem Recht zweifeln, diesen nachgeben zu dürfen, gewinnt Andrea
Camilleri zahlreiche gelungene Szenen ab, die mal komisch, mal
tragisch, jedoch immer wahrhaftig und bewundernswert treffend
beobachtet sind und stets ein ungläubig-staunendes Wiedererkennen im
Leser auszulösen vermögen.
Der 1925 in Porto Empedocle geborene, lebensweise vollendete
Schriftsteller Andrea Camilleri ist eine Art Mozart des
Kriminalromans. Seine augenzwinkernd-menschenfreundlichen
Kriminalromane sind einerseits streng durchkomponiert und aufs
Genaueste und Ausgewogenste in äußerst präzise Szenen gestaffelt
wie ein guter Film. Seine Konstruktion ist jedoch nie aufdringlich
und wirkt nie gewollt wie etwa im amerikanischen Thriller, dessen
Auflösung gewöhnlich in einem billigen Knalleffekt mündet, der den
Leser mit nichts zurücklässt außer einem unbestimmten Gefühl
ägerlichen Überdrusses.
Es spricht also nicht nur für Selbstvertrauen und literarisches
Geschick, wenn Camilleri soviel Wert auf feine, gut beobachtete und
liebevoll-menschenfreundlich ausgearbeitete Szenen legt, die die
ganze wunderbare Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen feiert und
auch herrliche satirische Szenen zu gestalten vermag wie etwa jene,
behutsam aufgebaute, mehrfach unterbrochene Szenenfolge, in der
Montalbano dem unbelehrbar-ignoranten Staatsanwalt, dem nicht
auszureden ist, dass er, Salvo, verheiratet sei und zwei Söhne habe,
schließlich – allein um ihn in einer Situation
verzweifelt-überreizter Geschäftigkeit loszuwerden – erzählt,
sein jüngerer Sohn sei gerade verstorben und der betretene
Staatsanwalt ihm am Ende sogar missverständlicherweise eins jener
Trauergebinde ins Büro liefern lässt, die die Mafia gewöhnlich als
letzte Warnung an erklärte Feinde zu schicken pflegt.
Der
eigentliche Fall eines grausam verstümmelten, in einer Sturmnacht
angeschwemmten Leichnams, der im Hafenbecken von Vigàta
gefunden wird, dem fiktiven Handlungsort aller Montalbano-Krimis
sowie zahlreicher anderer Romane Andrea Camilleris, tritt angesichts
der Fülle ebenso treffender wie unterhaltsamer Alltagsbeobachtungen
geradezu in den Hintergrund, obwohl er dem Buch ohne Zweifel das
wesentliche strukturelle Gerüst liefert, auf dessen Grundlage der
Autor seine große literarische Kunst entfalten kann.
Am Ende erweist sich erneut, dass in unserer globalisierten,
vernetzten Welt die Provinz genauso Schauplatz der Weltpolitik sein
kann wie die Weltpolitik Schauplatz des Provinziellen. Natürlich
wird auch dieser Fall zur Gänze aufgeklärt; der dankbare Leser aber
fühlt sich köstlich gestärkt und bestens unterhalten und gesättigt
wie von einer reichhaltigen Mahlzeit oder wie von einer guten
erfüllenden Liebe...
“Die Tage des Zweifels”, aus dem Italienischen von Rita Seuß und
Walter Kögler, erschienen bei Lübbe, 251 Seiten, € 19,99
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