Jerusalem

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Montag, 15. April 2013

“Die Tage des Zweifels” von Andrea Camilleri

Andrea Camilleris federleicht-unterhaltsame Sizilien-Krimis, die sich nach nunmehr zwanzig Jahren und ebenso vielen Einzelbänden auch international noch immer einer ungebrochen großen Beliebtheit erfreuen, sind in vielerlei Hinsicht Bücher der ausgelebten Kontraste: sowohl das literarische Konzept des Autors als auch die einzelnen virtuos durchkomponierten Handlungsmomente sowie sein Wissen um die Motive und Wünsche seines Lesepublikums basieren auf dem Versuch, die zahlreichen Widersprüche und Konflikte des menschlichen Lebens entweder zu bewältigen oder auszuhalten.

Sein erzsympathischer Ermittler, Commissario Salvo Montalbano, eine schwelgerisch-lebenslustige Identifikationsfigur par exellence, hat sich im bürokratischen und korrupten Polizeiapparat seinen urtümlich-bodenständigen Sinn für Gerechtigkeit, selbstständiges Denken und unkonventionelles, eigenverantwortliches Handeln in einer Art und Weise bewahrt, die ihn nicht selten in Konflikt mit dem geschriebenen Gesetz und noch weniger selten mit seinen direkten Vorgesetzten geraten lassen.

Es gibt wohl kaum einen anderen bedeutenden Kriminalschriftsteller, der so radikal wie Camilleri die allgemein anerkannt-unvergänglichen sogenannten “guten Dinge des Lebens” in positiven Kontrast zu den von ihm in seinen Büchern beschriebenen Verbrechen setzt, deren Grausamkeit für den Leser oft ausgesprochen schwer auszuhalten ist. Die üppige Landschaft Siziliens jedoch, die kulinarischen Genüsse, die ihre berühmte rustikal-raffinierte Küche mit ihren zahlreichen außereuropäischen Einflüssen bereithält sowie die gegenseitige erotische Anziehung der beiden Geschlechter bewirken ein ums andere Mal, dass man sich von den bitteren Widersprüchlichkeiten des Lebens plötzlich zumindest für die Dauer der Lektüre wundersam geheilt fühlen darf.

Die nachhaltige Faszination der von Camilleri in seinen Romanen so nuanciert und plastisch beschriebenen sizilianischen Küche bewog seinen Verlag vor einigen Jahren sogar zur Veröffentlichung eines von den beliebten Fernsehköchen Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer liebevoll erarbeiteten Montalbano-Kochbuchs, das von der Gastronomischen Akademie Deutschlands seinerzeit mit einer Silbermedaille für außergewöhnliche kulinarische Buchveröffentlichungen ausgezeichnet wurde.



In seinem neuesten, auf gewohnt hohem Niveau verhandelten Fall “Die Tage des Zweifels” bekommt es der seit Jahren eine schmerzensreich-beglückende Fernbeziehung mit der in Genua lebenden streitlustigen Livia führende Commissario zum wiederholten Mal mit einer unerhofft-intensiven amourösen Versuchung in Form der jüngeren, in höchstem Maße anziehenden Laura, einer Offizierin der Hafenpolizei, zu tun, die ebenfalls verlobt ist und sich mit aller Macht gegen die auch ihrerseits unbeabsichtigten romantischen Gefühle für Salvo wehrt.

Der Konstellation einer jungen Frau und eines altenden Mannes, die beide gleichermaßen an der Wahrhaftigkeit ihrer Gefühle sowie an ihrem Recht zweifeln, diesen nachgeben zu dürfen, gewinnt Andrea Camilleri zahlreiche gelungene Szenen ab, die mal komisch, mal tragisch, jedoch immer wahrhaftig und bewundernswert treffend beobachtet sind und stets ein ungläubig-staunendes Wiedererkennen im Leser auszulösen vermögen.

Der 1925 in Porto Empedocle geborene, lebensweise vollendete Schriftsteller Andrea Camilleri ist eine Art Mozart des Kriminalromans. Seine augenzwinkernd-menschenfreundlichen Kriminalromane sind einerseits streng durchkomponiert und aufs Genaueste und Ausgewogenste in äußerst präzise Szenen gestaffelt wie ein guter Film. Seine Konstruktion ist jedoch nie aufdringlich und wirkt nie gewollt wie etwa im amerikanischen Thriller, dessen Auflösung gewöhnlich in einem billigen Knalleffekt mündet, der den Leser mit nichts zurücklässt außer einem unbestimmten Gefühl ägerlichen Überdrusses.

Es spricht also nicht nur für Selbstvertrauen und literarisches Geschick, wenn Camilleri soviel Wert auf feine, gut beobachtete und liebevoll-menschenfreundlich ausgearbeitete Szenen legt, die die ganze wunderbare Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen feiert und auch herrliche satirische Szenen zu gestalten vermag wie etwa jene, behutsam aufgebaute, mehrfach unterbrochene Szenenfolge, in der Montalbano dem unbelehrbar-ignoranten Staatsanwalt, dem nicht auszureden ist, dass er, Salvo, verheiratet sei und zwei Söhne habe, schließlich – allein um ihn in einer Situation verzweifelt-überreizter Geschäftigkeit loszuwerden – erzählt, sein jüngerer Sohn sei gerade verstorben und der betretene Staatsanwalt ihm am Ende sogar missverständlicherweise eins jener Trauergebinde ins Büro liefern lässt, die die Mafia gewöhnlich als letzte Warnung an erklärte Feinde zu schicken pflegt.

Der eigentliche Fall eines grausam verstümmelten, in einer Sturmnacht angeschwemmten Leichnams, der im Hafenbecken von Vigàta gefunden wird, dem fiktiven Handlungsort aller Montalbano-Krimis sowie zahlreicher anderer Romane Andrea Camilleris, tritt angesichts der Fülle ebenso treffender wie unterhaltsamer Alltagsbeobachtungen geradezu in den Hintergrund, obwohl er dem Buch ohne Zweifel das wesentliche strukturelle Gerüst liefert, auf dessen Grundlage der Autor seine große literarische Kunst entfalten kann.

Am Ende erweist sich erneut, dass in unserer globalisierten, vernetzten Welt die Provinz genauso Schauplatz der Weltpolitik sein kann wie die Weltpolitik Schauplatz des Provinziellen. Natürlich wird auch dieser Fall zur Gänze aufgeklärt; der dankbare Leser aber fühlt sich köstlich gestärkt und bestens unterhalten und gesättigt wie von einer reichhaltigen Mahlzeit oder wie von einer guten erfüllenden Liebe...

“Die Tage des Zweifels”, aus dem Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler, erschienen bei Lübbe, 251 Seiten, € 19,99

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