Jerusalem

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Freitag, 5. April 2013

“Alles bestens” von Yael Hedaya

Die 1964 geborene israelische Schriftstellerin und Journalistin Yael Hedaya gehört ohne Zweifel nicht nur zu den profiliertesten israelischen Gegenwartsautorinnen, sondern leider auch – im Schatten der geradezu omnipräsenten, in zahlreiche Sprachen übersetzten Zeruya Shalev – zu den unterschätztesten. Dabei ist es der gebürtigen Jerusalemerin wie keiner anderen Autorin ihrer Generation in all ihren bisherigen Büchern auf geradezu traumwandlerische Art und Weise unter der scheinbaren Oberfläche der Unterhaltungsliteratur immer wieder bravourös gelungen, dem universellen Liebes- und Beziehungschaos der Dreißigjährigen eine absolut unverwechselbare, tiefgreifend-authentische und wahrhaftige Stimme zu verleihen, mit der sich jeder unbefangene Leser ganz unwillkürlich sofort zu identifizieren vermag.

Mit der scheinbaren, in Wirklichkeit aber aber in höchstem Maße doppelbödigen Leichtigkeit ihrer humorvoll-empathischen Texte, die auf den ersten Blick wirken müssen wie harmlose, vor allem gut konsumierbare herkömmliche Liebesromane, passt die Autorin nicht nur perfekt in die spezielle programmatische Ausrichtung des Schweizer Diogenes-Verlags, sondern konnte in diesem sicheren literarischen Heimathafen auch auf dem deutschen Buchmarkt vor allem mit ihrem Roman “Eden” sowie der Erzählung “Liebe pur”Überraschungserfolge verbuchen.

Da Yael Hedaya nicht gerade als produktive Vielschreiberin gelten kann – zumal sie zwischenzeitlich durch ihre Mitarbeit an der erfolgreichen israelischen Fernsehserie Be Tipul (2005-2008) gebunden war, die nicht nur inhaltlich und konzeptionell, sondern sogar in den Dialogen fast wortwörtlich für die USA als In Treatment (2007-2010) adaptiert wurde, behilft sich der Verlag zur Überbrückung der Wartezeit auf originär-neuen Lesestoff mit einem ausgesprochen cleveren Kunstgriff, indem er den bereits 1997 erschienenen Erzählungsband Shlosha sippurei ahawa (“Drei Liebesgeschichten”) ein ums andere Mal als ergiebige Goldader benutzt, dem bisher als Einzelveröffentlichungen schon das gefeierte deutschsprachige Debüt “Liebe pur” (1997) sowie die Erzählung “Die Sache mit dem Glück” (2006) entnommen worden waren.



Als letzte fehlende Geschichte aus dieser meisterhaften Sammlung ist nun die scheinbar simpelste und kürzeste Erzählung mit dem Titel “Alles bestens” in der im vergangenen Jahr neu eingeführten großformatigen – und großgedruckten – schönen Reihe Diogenes Paperback erschienen, um die Wartezeit auf die Übersetzung des vor zwei Jahren im hebräischen Original erschienenen neuen Romans Revi'i ba Erev (“Mittwoch abend”); und auch hier erweist sich Yael Hedaya wieder als Spezialistin für die sprichwörtlichen Irrungen und Wirrungen des menschlichen Herzens.

Alle darin von der Autorin auf gewohnt souveräne und liebevolle Art und Weise porträtierten Protagonisten haben ihre ganz persönlichen Probleme mit der Liebe – wenn es auch zum Teil an der Qualität und der Dauer ihrer jeweiligen Beziehungen hapert: denn Liebe, sexuelles Begehren und Leidenschaft sind in allen präsentierten Lebensentwürfen ganz ohne jeden Zweifel vorhanden – teilweise sogar im Übermaß.

Während die dreißigjährige Erzählerin Maja verzweifelt auf der Suche nach einer dauerhaften Beziehung ist, gibt ausgerechnet ihre in Gefühlsdingen stets unstete beste Freundin Nogga ihre baldige Hochzeit mit ihrem neuen Freund Amir bekannt, indessen Majas Eltern sich nach über dreißigjähriger liebevoller Ehe überraschend zur Scheidung entschlossen haben.

Auf einer Purimparty lernt Maja den unkonventionellen, etwas linkischen Nathan kennen, mit dem sie von Anfang “ein gutes Gefühl” hat:

Purim hin oder her, ich hatte mich nicht verkleidet, weil mir nichts einfiel, was ich an dem Abend wirklich hätte sein wollen – außer glücklicher. Ich war dreißig und wollte verliebt sein, ich wollte Selbstvertrauen besitzen und innere Ruhe. Für mich bestand die perfekte Kostümierung für eine Frau, die all diese Dinge in sich vereinigte, darin, so zu gehen, wie sie war. In gewisser Weise hatte ich mich also durchaus verkleidet.

Schon nach wenigen Tagen ergibt sich ein wunderbares, nachhaltig-beglückendes Arrangement zwischen den beiden gleichermaßen voneinander Angezogenen: Maja verbringt von nun an jede Nacht in Nathans stilvoll-unaufgeräumter Studentenbude im Dachgeschoss eines heruntergekommenen Mietshauses, nur die Wochenenden will der wortkarge, romantisch veranlagte Gärtner allein verbringen. Für Maja zunächst kein Problem:

Ich stand neben dem Pfleger im Aufzug, schnupperte an meinen Fingern und dachte, dass Sex einen gelassener machte, mehr eins mit sich und stärker, bis es mir gar schien, mit Hilfe von Sex ließe sich alles besiegen: der Tod, Herzinfarkte und all die anderen Tragödien, die sich auf jeder einzelnen Etage, in jedem einzelnen Zimmer, in jedem einzelnen Augenblick abspielten – als wäre Sex ein großes Kruzifix, wie es Nonnen und Pfarrer schwingen, um den Satan zu bannen.

Als sie dann doch, “nach fünf Monaten relativen Glücks”, eines Freitagabends unangekündigt vor Nathans Tür steht, muss sie allerdings feststellen, dass ihr Liebhaber bereits seit fünf Jahren eine Wochenendbeziehung mit der jüngeren Talli aus einem Kibbuz im Norden unterhält. Da sich Nathan Maja jedoch weder auf überzeugende Art und Weise erklären kann noch Anstalten macht, sich freiwillig für eine der beiden Frauen zu entscheiden, geht zunächst alles weiter wie zuvor:

Wir vögelten, als wäre nichts gewesen. Beim Sex stellte ich mir Nathan mit Sigall im Bett vor. Es beruhigte mich zu wissen, dass sie es am Wochenende wegen Sigalls Lebensmittelvergiftung nicht miteinander getrieben hatten.

Wie aber soll man die Zeit zurückdrehen, wie den unbeschwert-glückselig-zeitlosen Zustand des Unwissens wieder herstellen? Wie die quälenden Gedanken abstellen, sich die Selbstachtung bewahren, ohne gleichzeitig das zu opfern, was einen glücklich macht? Es erweist sich schließlich für alle Protagonisten, dass Liebe – in welchem Lebensalter auch immer – nicht unbedingt auch ein geeignetes Kriterium für eine tragfähige Beziehung sein muss. Gleichzeitig aber auch: dass die sogenannte rationale Vernunft möglicherweise der größte Feind der Liebe sowie des von ihr prophezeiten individuellen Glücks ist.

Diese uralten bittersüßen Fragen verhandelt Yael Hedaya auf gewohnt souveräne Art und Weise und schafft es dabei erneut, das Schwere, von jedem Leser bereits so oder ganz ähnlich selbst Erfahrene so präzise, transparent und wahrhaftig darzustellen, dass man sich im eigenen überraschten Wiedererkennen gleichzeitig aufgehoben, gestärkt und getröstet fühlen darf. Und obwohl die Autorin auch in dieser Erzählung nicht mit einem herkömmlichen Happy End aufzuwarten bereit ist, bleibt die Lektüre stets so federleicht und unterhaltsam, dass sie ohne weiteres auch als Alternative zu jedem lediglich zur Entspannung genossenen trivialen Liebesroman gelten kann.

“Alles bestens”, aus dem Hebräischen von Ruth Melcer, erschienen bei Diogenes, 160 Seiten, € 12,90

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