Die 1964 geborene israelische Schriftstellerin und Journalistin Yael
Hedaya gehört ohne Zweifel nicht nur zu den profiliertesten
israelischen Gegenwartsautorinnen, sondern leider auch – im
Schatten der geradezu omnipräsenten, in zahlreiche Sprachen
übersetzten Zeruya Shalev – zu den unterschätztesten. Dabei ist
es der gebürtigen Jerusalemerin wie keiner anderen Autorin ihrer
Generation in all ihren bisherigen Büchern auf geradezu
traumwandlerische Art und Weise unter der scheinbaren Oberfläche der
Unterhaltungsliteratur immer wieder bravourös gelungen, dem
universellen Liebes- und Beziehungschaos der Dreißigjährigen eine
absolut unverwechselbare, tiefgreifend-authentische und wahrhaftige
Stimme zu verleihen, mit der sich jeder unbefangene Leser ganz
unwillkürlich sofort zu identifizieren vermag.
Mit der scheinbaren, in Wirklichkeit aber aber in höchstem Maße
doppelbödigen Leichtigkeit ihrer humorvoll-empathischen Texte, die
auf den ersten Blick wirken müssen wie harmlose, vor allem gut
konsumierbare herkömmliche Liebesromane, passt die Autorin nicht nur
perfekt in die spezielle programmatische Ausrichtung des Schweizer
Diogenes-Verlags, sondern konnte in diesem sicheren literarischen
Heimathafen auch auf dem deutschen Buchmarkt vor allem mit ihrem
Roman “Eden” sowie der Erzählung “Liebe pur”Überraschungserfolge verbuchen.
Da Yael Hedaya nicht gerade als produktive Vielschreiberin gelten
kann – zumal sie zwischenzeitlich durch ihre Mitarbeit an der
erfolgreichen israelischen Fernsehserie Be Tipul (2005-2008)
gebunden war, die nicht nur inhaltlich und konzeptionell, sondern
sogar in den Dialogen fast wortwörtlich für die USA als In Treatment (2007-2010) adaptiert wurde, behilft sich der Verlag
zur Überbrückung der Wartezeit auf originär-neuen Lesestoff mit
einem ausgesprochen cleveren Kunstgriff, indem er den bereits 1997
erschienenen Erzählungsband Shlosha sippurei ahawa (“Drei
Liebesgeschichten”) ein ums andere Mal als ergiebige Goldader
benutzt, dem bisher als Einzelveröffentlichungen schon das gefeierte
deutschsprachige Debüt “Liebe pur” (1997) sowie die Erzählung
“Die Sache mit dem Glück” (2006) entnommen worden waren.
Als letzte fehlende Geschichte aus dieser meisterhaften Sammlung ist
nun die scheinbar simpelste und kürzeste Erzählung mit dem Titel
“Alles bestens” in der im vergangenen Jahr neu eingeführten
großformatigen – und großgedruckten – schönen Reihe Diogenes
Paperback erschienen, um die Wartezeit auf die Übersetzung des
vor zwei Jahren im hebräischen Original erschienenen neuen Romans
Revi'i ba Erev (“Mittwoch abend”); und auch hier erweist
sich Yael Hedaya wieder als Spezialistin für die sprichwörtlichen
Irrungen und Wirrungen des menschlichen Herzens.
Alle darin von der Autorin auf gewohnt souveräne und liebevolle Art
und Weise porträtierten Protagonisten haben ihre ganz persönlichen
Probleme mit der Liebe – wenn es auch zum Teil an der Qualität und
der Dauer ihrer jeweiligen Beziehungen hapert: denn Liebe, sexuelles
Begehren und Leidenschaft sind in allen präsentierten
Lebensentwürfen ganz ohne jeden Zweifel vorhanden – teilweise
sogar im Übermaß.
Während die dreißigjährige Erzählerin Maja verzweifelt auf der
Suche nach einer dauerhaften Beziehung ist, gibt ausgerechnet ihre in
Gefühlsdingen stets unstete beste Freundin Nogga ihre baldige
Hochzeit mit ihrem neuen Freund Amir bekannt, indessen Majas Eltern
sich nach über dreißigjähriger liebevoller Ehe überraschend zur
Scheidung entschlossen haben.
Auf einer Purimparty lernt Maja den unkonventionellen, etwas
linkischen Nathan kennen, mit dem sie von Anfang “ein gutes Gefühl”
hat:
Purim hin oder her, ich hatte mich nicht verkleidet, weil mir
nichts einfiel, was ich an dem Abend wirklich hätte sein wollen –
außer glücklicher. Ich war dreißig und wollte verliebt sein, ich
wollte Selbstvertrauen besitzen und innere Ruhe. Für mich bestand
die perfekte Kostümierung für eine Frau, die all diese Dinge in
sich vereinigte, darin, so zu gehen, wie sie war. In gewisser Weise
hatte ich mich also durchaus verkleidet.
Schon nach wenigen Tagen ergibt sich ein wunderbares,
nachhaltig-beglückendes Arrangement zwischen den beiden
gleichermaßen voneinander Angezogenen: Maja verbringt von nun an
jede Nacht in Nathans stilvoll-unaufgeräumter Studentenbude im
Dachgeschoss eines heruntergekommenen Mietshauses, nur die
Wochenenden will der wortkarge, romantisch veranlagte Gärtner allein
verbringen. Für Maja zunächst kein Problem:
Ich stand neben dem Pfleger im Aufzug, schnupperte an meinen
Fingern und dachte, dass Sex einen gelassener machte, mehr eins mit
sich und stärker, bis es mir gar schien, mit Hilfe von Sex ließe
sich alles besiegen: der Tod, Herzinfarkte und all die anderen
Tragödien, die sich auf jeder einzelnen Etage, in jedem einzelnen
Zimmer, in jedem einzelnen Augenblick abspielten – als wäre Sex
ein großes Kruzifix, wie es Nonnen und Pfarrer schwingen, um den
Satan zu bannen.
Als sie dann doch, “nach fünf Monaten relativen Glücks”, eines
Freitagabends unangekündigt vor Nathans Tür steht, muss sie
allerdings feststellen, dass ihr Liebhaber bereits seit fünf Jahren
eine Wochenendbeziehung mit der jüngeren Talli aus einem Kibbuz im
Norden unterhält. Da sich Nathan Maja jedoch weder auf überzeugende
Art und Weise erklären kann noch Anstalten macht, sich freiwillig
für eine der beiden Frauen zu entscheiden, geht zunächst alles
weiter wie zuvor:
Wir vögelten, als wäre nichts gewesen. Beim Sex stellte ich mir
Nathan mit Sigall im Bett vor. Es beruhigte mich zu wissen, dass sie
es am Wochenende wegen Sigalls Lebensmittelvergiftung nicht
miteinander getrieben hatten.
Wie aber soll man die Zeit zurückdrehen, wie den
unbeschwert-glückselig-zeitlosen Zustand des Unwissens wieder
herstellen? Wie die quälenden Gedanken abstellen, sich die
Selbstachtung bewahren, ohne gleichzeitig das zu opfern, was einen
glücklich macht? Es erweist sich schließlich für alle
Protagonisten, dass Liebe – in welchem Lebensalter auch immer –
nicht unbedingt auch ein geeignetes Kriterium für eine tragfähige
Beziehung sein muss. Gleichzeitig aber auch: dass die sogenannte
rationale Vernunft möglicherweise der größte Feind der Liebe sowie
des von ihr prophezeiten individuellen Glücks ist.
Diese uralten bittersüßen Fragen verhandelt Yael Hedaya auf gewohnt
souveräne Art und Weise und schafft es dabei erneut, das Schwere,
von jedem Leser bereits so oder ganz ähnlich selbst Erfahrene so
präzise, transparent und wahrhaftig darzustellen, dass man sich im
eigenen überraschten Wiedererkennen gleichzeitig aufgehoben,
gestärkt und getröstet fühlen darf. Und obwohl die Autorin auch in
dieser Erzählung nicht mit einem herkömmlichen Happy End
aufzuwarten bereit ist, bleibt die Lektüre stets so federleicht und
unterhaltsam, dass sie ohne weiteres auch als Alternative zu jedem
lediglich zur Entspannung genossenen trivialen Liebesroman gelten
kann.
“Alles bestens”, aus dem Hebräischen von Ruth Melcer, erschienen
bei Diogenes, 160 Seiten, € 12,90
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.